Annis, die Ich-Erzählerin, wird in der Sklaverei geboren. Ihre Mutter hält die Erinnerungen an ihre Herkunft aus einer afrikanischen Kriegerinnen-Familie in Dahomey lebendig, und die Erinnerung v. a. an ihre Großmutter Aza bedeuten für Annis die Sicherung ihrer eigenen Identität, geben ihr Selbstbewusstsein und auch das Vermögen, ihre jetzige Lage zu ertragen. Der Verkauf ihrer Mutter löst bei ihr eine Trauerphase aus, die mit hoher Empathie und in eindrücklichen, fast lyrischen Bildern erzählt wird.
Schließlich wird auch Annis von ihrem Vater, dem weißen Plantagenbesitzer, an Händler verkauft. Annis erzählt von dem langen qualvollen Fußmarsch von South Carolina hinunter zum Sklavenmarkt in New Orleans, und auch hier sind es die bestechend starken und zugleich reduzierten Bilder, die den Leser atemlos weiterlesen lassen. Auf diesem Marsch und auch bei der harten Arbeit bei ihrer neuen Besitzerin helfen ihr die Visionen von ihren Ahnen und die Verbindung zu ihren vertrauten Naturgeistern, ihre Lage zu überstehen. Die Begegnung mit den Geistern nimmt gegen Schluss des Romans allerdings einen derart breiten Raum ein, dass Realität und Fiktion ineinander übergehen.
Jesmyn Ward ist eine begnadete Erzählerin. Ihre kraftvolle Sprache und ihr stets ruhiger Erzählton, ohne Aufgeregtheiten und ohne Larmoyanz, fesseln den Leser und lassen damit eine Zeit wieder lebendig werden, die in ihrer Menschenverachtung und Unmenschlichkeit immer noch präsent ist. Die Übersetzung gibt Jesmyns Ward Sprachgewalt angemessen wieder, allerdings stören mich einige zeitgenössische Wendungen („Narrativ“), die die Wucht des Erzählens mindern.
Annis bewahrt sich ihr Bewusstsein, ein Mensch und keine Ware zu sein. Neben der Verankerung in der Familiengeschichte hilft ihr dabei auch die Literatur. Damit greift Jesmyn Ward eine Facette ihres Romans „Vor dem Sturm“ auf. Annis ist Analphabetin, aber sie belauscht den Unterricht ihrer Halbschwestern und hört Dantes Göttliche Komödie. Sie ist fasziniert, die Verse begleiten sie, und sie sieht Parallelen zu ihrem eigenen Weg.
„So gehen wir denn hinab ins finstre Reich“: Annis geht diesen Weg hinab in die Hölle der Sklaverei. Auch der Leser geht diesen Weg mit ihr, und damit geht er zugleich den Weg zurück in eine Zeit der Willkür und Grausamkeit. Mit dem Hinweis auf Dante ist aber auch Hoffnung verbunden, denn auch Dante steigt aus dem Inferno wieder herauf in das Licht des Paradieses.
Fazit: Eine wuchtige Erzählung, die den Kampf vieler Menschen lebendig erhält.
"So gehen wir denn hinab ins finstre Reich"
Annis, die Ich-Erzählerin, wird in der Sklaverei geboren. Ihre Mutter hält die Erinnerungen an ihre Herkunft aus einer afrikanischen Kriegerinnen-Familie in Dahomey lebendig, und die Erinnerung v. a. an ihre Großmutter Aza bedeuten für Annis die Sicherung ihrer eigenen Identität, geben ihr Selbstbewusstsein und auch das Vermögen, ihre jetzige Lage zu ertragen. Der Verkauf ihrer Mutter löst bei ihr eine Trauerphase aus, die mit hoher Empathie und in eindrücklichen, fast lyrischen Bildern erzählt wird.
Schließlich wird auch Annis von ihrem Vater, dem weißen Plantagenbesitzer, an Händler verkauft. Annis erzählt von dem langen qualvollen Fußmarsch von South Carolina hinunter zum Sklavenmarkt in New Orleans, und auch hier sind es die bestechend starken und zugleich reduzierten Bilder, die den Leser atemlos weiterlesen lassen. Auf diesem Marsch und auch bei der harten Arbeit bei ihrer neuen Besitzerin helfen ihr die Visionen von ihren Ahnen und die Verbindung zu ihren vertrauten Naturgeistern, ihre Lage zu überstehen. Die Begegnung mit den Geistern nimmt gegen Schluss des Romans allerdings einen derart breiten Raum ein, dass Realität und Fiktion ineinander übergehen.
Jesmyn Ward ist eine begnadete Erzählerin. Ihre kraftvolle Sprache und ihr stets ruhiger Erzählton, ohne Aufgeregtheiten und ohne Larmoyanz, fesseln den Leser und lassen damit eine Zeit wieder lebendig werden, die in ihrer Menschenverachtung und Unmenschlichkeit immer noch präsent ist. Die Übersetzung gibt Jesmyns Ward Sprachgewalt angemessen wieder, allerdings stören mich einige zeitgenössische Wendungen („Narrativ“), die die Wucht des Erzählens mindern.
Annis bewahrt sich ihr Bewusstsein, ein Mensch und keine Ware zu sein. Neben der Verankerung in der Familiengeschichte hilft ihr dabei auch die Literatur. Damit greift Jesmyn Ward eine Facette ihres Romans „Vor dem Sturm“ auf. Annis ist Analphabetin, aber sie belauscht den Unterricht ihrer Halbschwestern und hört Dantes Göttliche Komödie. Sie ist fasziniert, die Verse begleiten sie, und sie sieht Parallelen zu ihrem eigenen Weg.
„So gehen wir denn hinab ins finstre Reich“: Annis geht diesen Weg hinab in die Hölle der Sklaverei. Auch der Leser geht diesen Weg mit ihr, und damit geht er zugleich den Weg zurück in eine Zeit der Willkür und Grausamkeit. Mit dem Hinweis auf Dante ist aber auch Hoffnung verbunden, denn auch Dante steigt aus dem Inferno wieder herauf in das Licht des Paradieses.
Fazit: Eine wuchtige Erzählung, die den Kampf vieler Menschen lebendig erhält.
4,5/5*